Ergebnisse
Erste Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Menschen in Deutschland 2023“
Die Studie „Menschen in Deutschland“ (MiD) wird von der Universität Hamburg im Rahmen des bundesweiten Forschungsverbundes MOTRA durchgeführt. Sie untersucht Meinungen und Haltungen von Menschen ab 18 Jahren in Deutschland zu aktuellen politischen Fragen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Dazu wird seit 2021 jedes Jahr eine repräsentative Befragung der erwachsenen Bevölkerung in ganz Deutschland durchgeführt, in der jeweils über 4.000 Menschen zu diesen Themen zu Wort kommen. Im Folgenden werden erste Ergebnisse der MiD-Studie aus dem Jahr 2023 (dritte Welle) vorgestellt und auch die Veränderungen im Vergleich zu den Ergebnisse der beiden vorherigen Wellen aus 2021 und 2022 beschrieben. |
Menschen in Deutschland 2023 – Wer sind unsere Teilnehmer*innen? 1
|
|
![]() |
|
![]() |
|
|
|
![]() |
|
1 Alle Auswertungen, über die hier berichtet wird, wurden mit gewichteten Daten vorgenommen. Dies stellt sicher, dass die Stichprobe in Bezug auf wichtige zentrale Merkmale auch den Verhältnissen der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland entspricht. Dadurch können die Ergebnisse als repräsentativ angesehen und auf alle erwachsenen Einwohner*innen Deutschlands verallgemeinert werden. |
Sorgen und Verunsicherung angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen und Veränderungen
In allen drei Wellen der MiD Studie wurden die Teilnehmenden zu ihren Sorgen und Verunsicherungen angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen und Veränderungen befragt. 2023 waren solche Sorgen unter den Befragten weit verbreitet.
Die meisten Sorgen machten sich die Menschen im Jahr 2023 - wie bereits 2021 und 2022 - über Wirtschaftskrisen und einen damit verbundenen möglichen Anstieg von Armut. Fast neun von zehn Befragte (88.1%) gaben an „etwas besorgt“ oder „sehr besorgt“ darüber zu sein. Diese Rate ist im Zeitverlauf stabil. Ähnlich hoch waren mit insgesamt 81.7% die Besorgnisse in Bezug auf Folgen des Klimawandels, wobei diese Rate in den letzten zwei Jahren um 8 Prozentpunkte gesunken ist. Hier könnte möglicherweise ein Gewöhnungseffekt aufgrund der zu diesem Thema schon länger anhaltenden gesellschaftlichen Debatte eingetreten sein, der die akuten Sorgen etwas verringert. An dritter Stelle folgt die Sorge, „dass Deutschland öfter in militärische Konflikte hineingezogen werden könnte“ (insgesamt 79.7%). Zwischen 2021 und 2022 nahm diese Rate stark zu, während sie nun wieder signifikant abgesunken, aber nach wie vor recht hoch ist. Während die Erhöhung in 2022 auf den Ausbruch des Ukraine-Kriegs zurückzuführen ist, scheint sich - ähnlich wie in Bezug auf die Klimakrise - die Bevölkerung an die anhaltende Kriegssituation zu gewöhnen. Die Konflikteskalation in Israel fand erst ab Oktober 2023 statt und war von daher zur Zeit der Befragung noch nicht erkennbar.
Die deutlichsten Veränderungen sind bezüglich der Sorgen über die Corona-Pandemie sowie über die Flüchtlingszuzüge zu erkennen: Während erstere sinken, steigen letztere stark an. Weniger als ein Drittel (31.9%) der Befragten gibt 2023 an, besorgt über die Corona-Pandemie zu sein. Seit 2021 sind diese Sorgen demnach um fast 58 Prozentpunkte gesunken. Corona ist in der Wahrnehmung der Bevölkerung somit keine besorgniserregende Herausforderung mehr. In entgegengesetzte Richtung entwickelt sich die Bewertung der Flüchtlingssituation. Mehr als zwei Drittel der Befragten (67.7%) machen sich diesbezüglich Sorgen. Diese Rate hat sich seit 2021 um 16.6 Prozentpunkte erhöht
Der Vergleich zwischen der ersten Welle (MiD 2021) und den darauffolgenden Wellen ist aufgrund von Veränderungen in den Frageformulierungen nur bedingt möglich. Die Frageformulierungen der ersten und zweiten Welle können jeweils in Endtricht et. al. 2022, S. IX und Fischer et al. 2023, S. XXVII nachgelesen werden.
Aufgrund der die aktuellen Relevanz der Eskalation des Ukraine-Kriegs seit 2022 und damit verbundener wirtschaftlicher Probleme in Deutschland wurden weitere Fragen gestellt, die diesbezügliche Sorgen aufgreifen und weiter konkretisieren.
Zum Ukraine-Krieg und seinen Folgen ist 2023 die größte Sorge der Befragten, dass sich daraus ein neuer „Kalter Krieg“ zwischen Russland und dem Westen entwickeln könnte. Hierüber machen sich etwa drei Viertel der Befragten (76%) „eher große“ oder „sehr große“ Sorgen. Außerdem sorgt sich fast die Hälfte der Befragten (48.6%), dass Deutschland oder ein anderer NATO-Staat angegriffen werden könnte. Sorgen über das Zusammenbrechen der Energieversorgung in Europa und über einen Atomkrieg sind bei jeweils etwas mehr als einem Drittel der Befragten verbreitet.
Die Sorgen über eine Inflation wurden anhand von Fragen zu möglichen Einschränkungen in Bereich der Befriedigung persönlicher existenzieller Bedürfnisse „in den nächsten 6 Monaten“ erfasst. Mehr als die Hälfte der Befragten (52.4%) glaubt daran, dass sie sich beim Einkauf von Grundnahrungsmitteln einschränken muss. Jeweils fast ein Drittel glaubt zudem, Heizung und Strom (31.9%) oder ihre Kredite (30.1%) nicht mehr bezahlen zu können. 25% der Befragten glauben zudem, sie werden ihre Miete nicht mehr bezahlen können und 16.8% halten es für wahrscheinlich, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Darüber hinaus nimmt eine große Mehrheit an, sich auch außerhalb der basalen Bedürfnisse einschränken zu müssen. So hält es mit 65.7% eine deutliche Mehrheit der Befragten für „wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“, sich in naher Zukunft bei Ausgaben für die Freizeit einschränken müssen.
Über solche konkret benannten Herausforderungen und Sorgen hinaus wurde auch allgemeiner erfasst, wie verbreitet Gefühle der Verunsicherung aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen und neuer Herausforderungen in der Bevölkerung sind. Am weitesten verbreitet ist danach das Gefühl „auf alles gefasst sein“ zu müssen (77.9%). Diese Rate ist seit 2021 angestiegen, im Vergleich zu 2022 aber unverändert hoch. Deutliche Anstiege zwischen den Wellen zeigen sich für die Aussagen, dass man unsicher werde, wenn man die Ereignisse der letzten Jahre betrachtet (von 54.4% in der ersten Welle auf 64.4% in der zweiten und 72.2% in der dritten) sowie die Feststellung, dass die Dinge heute so schwierig geworden sind, dass man „nicht mehr weiß, was los ist“ (von 38.8% in der ersten Welle auf 46.3% in der zweiten und 55.9% in der dritten).
Insgesamt haben damit seit 2021 alle diese Aussagen, die Verunsicherng ausdrücken, mehr Zustimmung erhalten. Krisen und Veränderungen, die sich zwischen den Befragungen ereignet haben, gehen demnach mit einer deutlich erhöhten allgemeinen Verunsicherung einher, die zusammengenommen aktuell mehr als die Hälfte der Bevölkerung betrifft.
Bewertung der Demokratie und Vertrauen in die Politik
Der Anteil der Personen, die glauben, dass mit der Demokratie die Probleme in Deutschland gelöst werden können, ist zwischen 2021 und 2022 stark gesunken. In 2023 hat sich dieser Anteil mit 80.6% nur leicht erholt. Diese leichte Erhöhung ist allerdings statistisch nicht signifikant. Auch aktuell zweifeln mehr Personen als noch vor 2 Jahren daran, dass mit der Demokratie die Lösung aktueller Probleme gelingen kann.
Die Akzeptanz wichtiger Grundrechte und Freiheiten wie die Versammlungsfreiheit („Jeder Bürger sollte das Recht haben, für seine Überzeugungen auf die Straße zu gehen“), Meinungsfreiheit („Alle Minderheiten sollten das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern“) und Pressefreiheit („Die Freiheit der Presse in unserem Land muss geschützt werden“) ist seit 2021 anhaltend hoch. Mit 88.5%, 92.8% und 93.7% erhalten diese drei Dimensionen eine sehr breite Zustimmung in der Bevölkerung.
Diese Stabilität in der Akzeptanz von Grundrechten und Freiheiten spiegelt sich allerdings nicht im Vertrauen gegenüber verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Institutionen und Entscheidungsträgern wider. Das Vertrauen ist gesellschaftliche und staatliche fällt 2023 in allen Feldern signifikant negativer aus als in den Jahren zuvor.
Den geringsten Vertrauensverlust verzeichnet die Polizei. Ihr vertrauen zwar weiterhin 74.3% der Befragten, dies ist jedoch eine Verringerung um 4.6 Prozentpunkte im Vergleich zu 2021. Bei den übrigen Institutionen ist durchgehend ein deutlicherer Vertrauensverlust erkennbar. Das Vertrauen in Gerichte ist seit 2021 um 8.4 Prozentpunkte gefallen und erreicht 2023 mit 66.3% einen Tiefpunkt. In Bezug auf die Regierung und die politischen Parteien hat sich das Vertrauen jeweils fast halbiert: nur noch 30.8% der Bevölkerung spricht der Regierung ihr Vertrauen aus, den politischen Parteien vertrauen sogar nur noch 20.7%.
Dieser deutliche Rückgang des Vertrauens in politische Institutionen und Akteure zeigt sich auch in der Bewertung der Befragten zu Handlungsmotiven und Kompetenzen wichtiger Entscheidungsträger*innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Den höchsten Anstieg erfährt 2023 mit einem Anteil von 71.6% die Aussage, Entscheidungsträger*innen seien „unfähig, die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen“. Die Zustimmung zu dieser Aussage hat seit 2021 um 13.8 Prozentpunkte zugenommen. Ein ähnlich hoher Anteil der Befragten stimmt mit 71.1% der Aussage zu, die Entscheidungsträger*innen seien „an den Problemen der einfachen Leute nicht interessiert“. Auch hier liegt der Anstieg bei mehr als 10 Prozentpunkten. Für die Aussage, dass die Entscheidungsträger*innen „oft gegen die Interessen der Bevölkerung“ handelten², ist seit 2022 eine deutliche Steigerung der Zustimmungsrate zu erkennen. Diese liegt nun bei 67.2% und hat damit im Vergleich zu den letzten beiden Jahren, in denen die Rate stabil war, um 9 Prozentpunkte zugenommen.
²Die Formulierung dieser Aussage hat sich im Vergleich zu 2021 leicht verändert. Dort wurde die Formulierung „…handeln oft wider besseren Wissens gegen die Interessen der Bevölkerung“ verwendet.
Unabhängig von direkten eigenen Erlebnissen konnten die Befragten auch Angaben dazu machen, wie ihrer Meinung nach Menschen, die so sind wie sie selbst (die also der eigenen sozialen Gruppe angehören), durch staatliche Institutionen behandelt werden. Im Zentrum steht hier die subjektive Wahrnehmung von Respekt, Fairness und Anerkennung seitens der Vertreter*innen von Politik und staatlichen Behörden im direkten Kontakt mit Bürger*innen. Die Erfahrung von Respekt und Fairness sowie echtem Interesse sind entscheidend dafür, wie stark Menschen sich mit unserem politischen System und Staatswesen identifizieren und sich als zugehörig und anerkannt fühlen.
Diesbezüglich gab mehr als die Hälfte (57.2%) an, dass Menschen wie sie selbst ihrer Einschätzung nach von Politiker*innen nicht ernst genommen werden. Diese Rate hat seit 2022 deutlich zugenommen. Besser fiel die Bewertung staatlicher Behörden sowie der Polizei aus. Nur 24.3% bzw. 14.5% nehmen hier Formen einer respektlosen oder unfairen Behandlung wahr. Während sich die Bewertung der Behandlung durch die Polizei nur marginal um 2.2 Prozentpunkte verschlechtert hat, ist die Rate derer, die sich von Behörden respektlos behandelt fühlen, um 4 Prozentpunkte gestiegen.
Seit 2022 wird in der MiD Studie auch erfasst, wie verbreitet die Neigung zur Akzeptanz von Verschwörungsmythen ist –– d.h. von faktisch nicht belegbaren Annahmen, dass gesellschaftliche Ereignisse, Situationen oder Entwicklungen durch geheime Mächte gesteuert werden. Mit 41.7% findet in der dritten Welle die Annahme, dass es geheime Organisationen gebe, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, eine bemerkenswert hohe Zustimmung. Diese Rate ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. 35.9% stimmten der Aussage zu, dass Politiker*innen und andere Führungspersönlichkeiten „Marionetten der dahinterstehenden Mächte“ seien. Auch hier ist ein Anstieg im Vergleich zu 2022 zu verzeichnen. Etwas weniger, aber dennoch sehr weit verbreitet ist die Zustimmung zu themenbezogenen Verschwörungsmythen. Über ein Viertel der Befragten (28.9%) stimmt Aussagen zur absichtlichen Geheimhaltung des Ursprungs des Corona-Virus zu und 14.7% glauben zudem, dass Studien, die den Klimawandel belegen, „meist gefälscht“ seien.
In der Summe zeigen die Befunde des Jahres 2023 zur Bewertung von Demokratie, Staat und Politik, dass das Vertrauen in die politischen Akteure (Regierung und Parteien) im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gesunken ist. Grund- und Freiheitsrechte werden aber nach wie vor von der weit überwiegenden Mehrheit positiv bewertet.
Obwohl staatliche Institutionen im Bereich von Rechtspflege und Strafverfolgung, wie Polizei und Gerichte, nach wie vor weniger kritisch beurteilt werden als die Regierung oder die Parteien und Politiker, nahm das Vertrauen in Bezug auf alle politischen Akteure und staatlichen Institution in den letzten Jahren deutlich ab. Diese Vertrauensverluste werden begleitet von einer vermehrten Verbreitung der Wahrnehmung, dass die Entscheidungsträger in Deutschland inkompetent seien und Teile der Bevölkerung nicht ernst nehmen.
Diese kritische Beurteilung wird begleitet von einem Anstieg der Verbreitung einer Neigung zum Verschwörungsglauben. Insbesondere die Annahme des Einflusses geheimer Mächte und Organisationen auf politische Entscheidungsträger*innen ist vergleichsweise häufig und zudem auch ansteigend. Bei etwa einem Drittel der Bevölkerung ist eine Tendenz zu erkennen, Verschwörungsmythen zu übernehmen und so in Situationen hoher Verunsicherung einfache Erklärungen für schwierige Entwicklungen und Probleme einzusetzen.
Es ist von einem Geflecht wechselseitiger Einflüsse auszugehen. Ein allgemeines Misstrauen gegenüber Akteuren aus Politik und Wissenschaft wird hier verbunden mit Besorgnissen vor dem Hintergrund aktueller Krisen und Entwicklungen wie dem Zuzug von Geflüchteten, dem Klimawandel oder dem Krieg in der Ukraine. Dies wiederum geht mit vermehrter Verunsicherung und einem Anstieg der Skepsis gegenüber gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträger*innen einher.
Unsere Studie legt einen ihrer Schwerpunkte auf politische und gesellschaftliche Zustände und deren Bewertung durch die Befragten. Nur wenn uns Menschen berichten, welche Erfahrungen und Beobachtungen sie machen, können wir erkennen, welche Probleme sie wahrnehmen und wie sie diese beurteilen. Deshalb fragen wir in unseren Studien einerseits nach den eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung und andererseits nach Beobachtungen im eigenen Lebensumfeld, die auf Intoleranz, Vorurteile und politischen Extremismus hinweisen könnten. Dies hilft uns dabei, Aussagen darüber zu treffen, wie verbreitet solche Situationen und Erfahrungen in Deutschland sind und inwiefern sich Menschen davon bedroht fühlen. |
Eigene Erfahrungen mit Diskriminierung
Insgesamt gibt fast ein Viertel der Befragten an (23%), in den letzten 12 Monaten persönlich mindestens eine der von uns erfragten Formen von Diskriminierung erlebt zu haben. Hier zeigen sich allerdings erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit von sozialen Merkmalen der Befragten (Altersgruppe, Geschlecht, Migrationshintergrund oder Religionszugehörigkeit).
Diskriminierungen wegen der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft oder der Nationalität wurden etwas häufiger von Männern berichtet und deutlich häufiger von jüngeren als von älteren Personen. So gaben 30.1% der Befragten unter 40 Jahren an, aus diesen Gründen diskriminiert worden zu sein. Bei Personen ab 60 Jahren liegt die Rate nur bei 7.1%.
Hervorzuheben ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund (49.8%) und Personen islamischen Glaubens (69.9%) eine solche herkunftsbezogene Diskriminierung im letzten Jahr um ein Vielfaches häufiger erlebt haben als andere Personen.
Ein ähnliches Bild findet sich für die Verbreitung von Diskriminierungen wegen der Religion bzw. des Glaubens. Auch diese wurden etwas häufiger von jüngeren Personen zwischen 18 und 40 Jahren berichtet. Deutlich gehäuft tritt eine solche religionsbezogene Diskriminierung bei Personen mit Migrationshintergrund (29.3%) sowie bei Muslim*innen (64.4%) auf. Bei beiden Gruppen, insbesondere aber bei der letztgenannten, ist daher von einem hohen Risiko der Mehrfachdiskriminierung auszugehen.
Insgesamt sind die Raten der Personen, die persönliche Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, zwischen 2021 und 2023 auf hohem Niveau nahezu unverändert.
Wahrnehmung von Intoleranz und politischen Extremismen im eigenen Lebensumfeld
Neben persönlich erlebten, eigenen Diskriminierungserfahrungen wurden die Befragten auch gebeten, über Wahrnehmungen von Geschehnissen in ihrem sozialen Lebensumfeld zu berichten, die sie beobachtet haben und die politisch bedeutsam sein könnten.
Knapp ein Drittel der Befragten (33.8%) gibt an, in den letzten 12 Monaten mindestens selten miterlebt zu haben, dass eine andere Person „wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer ethnischen Herkunft beleidigt oder angegriffen wurde“. Antisemitismus wird im direkten Vergleich seltener beobachtet (8.6%), während Islamfeindlichkeit von einem Viertel der Befragten berichtet wird (25.4%). Formen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind also für recht viele Befragte ein direkt wahrnehmbares Problem in ihrem Lebensumfeld.
Weiter wurden auch Fragen zu Wahrnehmungen und Beobachtungen verschiedener politischer Extremismen – in Form von linksextremistischen, rechtsextremistischen und islamistischen Aktivitäten – im eigenen Lebensumfeld gestellt.
Hier zeigt sich, dass rechtsextremistische Aktivitäten im Vergleich am häufigsten beobachtet wurden (38.8%), gefolgt von linksextremistischen Aktivitäten (36.3%). Am seltensten wurden islamistische Aktivitäten beobachtet (28.1%). Das Ausmaß der Wahrnehmungen von Rechtsextremismus hat seit 2021 nur leicht zugenommen, die Wahrnehmung von Linksextremismus und Islamismus ist demgegenüber im hier betrachteten Zeitraum signifikant gestiegen.
Bei einer Aufschlüsselung der Beobachtungshäufigkeiten nach regionalen Merkmalen zeigt sich, dass in mittleren Städten und Großstädten die Raten derer, die solche Aktivitäten mindestens „selten“ wahrgenommen haben, jeweils höher ausfällt als bei Befragten, die in kleineren Orten leben. Dies ist allerdings auch zu erwarten, da durch die höhere Bevölkerungsdichte in einer Großstadt im Vergleich zu kleineren Orten die Möglichkeit zur Beobachtung solcher Aktivitäten häufiger besteht und politische Protestgeschehnisse generell eher in größeren Städten stattfinden.
Ein weiterer Unterschied der Beobachtungshäufigkeiten findet sich im Ost-West-Vergleich, wobei sowohl rechts- als auch linksextremistische Aktivitäten in den östlichen Bundesländern deutlich häufiger beobachtet wurden als in westlichen Bundesländern. Im Westen wurden solche Beobachtungen von jeweils knapp einem Drittel (35% bzw. 32.2%) der Befragten gemacht, im Osten äußerte dies über die Hälfte der Befragten (54.1% bzw. 53.2%).
Neben der Häufigkeit der Beobachtung von politisch-extremistischen Aktivitäten im eigenen Lebensumfeld wurde auch erfragt, inwiefern sich Menschen in ihrem Lebensumfeld persönlich von politisch motivierter Gewalt bedroht fühlen.
Das höchste Bedrohungsgefühl geht demnach von rechtsextremistischer Gewalt aus, von der sich 17.9% der Befragten im Jahr 2023 „etwas“ oder „sehr“ bedroht fühlten. Bemerkenswert ist, dass die Rate der gefühlten Bedrohung durch rechtsextremistische Gewalt in den ostdeutschen Bundesländern zwischen 2021 und 2023 abgenommen hat. Die Bedrohungsgefühle bezüglich der anderen beiden Formen extremistischer Gewalt sind dort hingegen seit 2021 auf niedrigem Niveau stabil.
Auffällig ist weiter, dass mit einem Anteil von 17% die Bedrohung durch islamistische Gewalt am zweithöchsten ist, obwohl Beobachtungen solcher Aktivitäten im Vergleich der drei Extremismusformen am seltensten berichtet wurden. Insgesamt fällt das Ausmaß der empfundenen Bedrohung aber geringer aus, als es die Beobachtungshäufigkeiten vermuten lassen könnten.
Diese Auswertungen zeigen beispielhaft, dass die Beobachtungshäufigkeit bestimmter Aktivitäten nicht notwendig auch mit einer entsprechenden Häufigkeit von Bedrohungswahrnehmungen verbunden sein muss. Vielmehr ist anzunehmen, dass hier weitere Faktoren eine Rolle spielen. Ziel der Studie „Menschen in Deutschland“ ist es, genau solche Faktoren zu identifizieren und aufzuzeigen, wie sich gesellschaftliche Situationen und ihre Veränderungen auf das Leben der Menschen in Deutschland auswirken.
Ein wichtiges Thema ist dabei vor allem die Frage, wie sich die Einschätzungen und subjektiven Bewertungen von Politik und Gesellschaft im weiteren Zeitverlauf in den nächsten Jahren entwickeln und möglicherweise auch wandeln. Damit verbunden ist die Frage, wie sich das auf die Verbreitung von Formen des politischen Extremismus sowie der Akzeptanz bzw. Ablehnung unserer Demokratie auswirkt.
Die Befragungen im Rahmen unserer Studie „Menschen in Deutschland“ werden in den nächsten Jahren kontinuierlich fortgeführt, so dass Veränderungen sichtbar gemacht, deren mögliche Hintergründe beleuchtet und die oben genannten Fragen damit auch weiter verfolgt und beantwortet werden können.
Dieser kurze Bericht sollte einen ersten Einblick in Fragestellungen und ausgewählte Befunde unserer Untersuchung „Menschen in Deutschland 2022“ geben. Wir möchten diese Gelegenheit auch nutzen, uns bei allen Befragten ganz herzlich für ihre Zeit zu bedanken. Diesen Bericht stellen wir auch im PDF-Format als Download zur Verfügung. Für Rückfragen kontaktieren Sie gerne unser Team an der Universität Hamburg über |
Weitere Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Menschen in Deutschland 2023“
In folgenden Buchbeiträgen, Forschungs- und Kurzberichten sind weitere Erkenntnisse auf Basis der Daten der Studie MiD 2023 dokumentiert. Diese Beiträge können jeweils auch online eingesehen oder als Download kostenlos genutzt werden.
Wetzels, P., Fischer, J.M.K., Farren, D., Brettfeld, K. & Endtricht, R. (2023). Menschen in Deutschland 2023. Dritte Welle der bundesweit repräsentativen Befragung: Durchführung, Rücklauf, Erhebungsinstrument und Codebuch. MOTRA Forschungsbericht No. 12 aus dem Institut für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft. Hamburg: Universität Hamburg. https://doi.org/10.25592/uhhfdm.13846
Erste Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Menschen in Deutschland 2022“
Die Studie „Menschen in Deutschland“ (MiD) wird von der Universität Hamburg im Rahmen des bundesweiten Forschungsverbundes MOTRA durchgeführt. Sie untersucht Meinungen und Haltungen von Menschen ab 18 Jahren in Deutschland zu politischen, gesellschaftlichen und religiösen Themen. Dazu wird seit 2021 jedes Jahr eine repräsentative Befragung der erwachsenen Bevölkerung in ganz Deutschland durchgeführt, in der jeweils über 4.000 Menschen zu diesen Themen zu Wort kommen. Im Folgenden werden erste Ergebnisse der MiD-Studie aus dem Jahr 2022 (zweite Welle) vorgestellt und Veränderungen von gesellschaftlichen und politischen Einstellungen im Vergleich zur ersten Welle aus 2021 dargestellt. |
Menschen in Deutschland 2022 – Wer sind unsere Teilnehmer*innen? 1
|
|
![]() |
|
![]() |
|
|
|
![]() |
|
1 Alle Auswertungen, über die hier berichtet wird, wurden mit gewichteten Daten vorgenommen. Dies stellt sicher, dass die Stichprobe in Bezug auf wichtige zentrale Merkmale auch den Verhältnissen der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland entspricht. Dadurch können die Ergebnisse als repräsentativ angesehen und auf alle erwachsenen Einwohner*innen Deutschlands verallgemeinert werden. Weitere Informationen zum angewendeten Gewichtungsverfahren und zur Größe einzelner Teilstichproben finden Sie im Forschungsbericht No. 6 zur zweiten Welle der MiD Studie, der online auf der Website des Lehrstuhls für Kriminologie der Universität Hamburg verfügbar ist. . |
Sorgen und Verunsicherung angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen und Veränderungen
Sorgen und Verunsicherungen waren unter den Befragten im Jahr 2022 weit verbreitet. Eine große Mehrheit äußerte Besorgnisse über die Auswirkungen aktueller politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen wie drohende Wirtschaftskrisen, Klimawandel, Corona-Pandemie oder militärische Konflikte.
Die meisten Sorgen machten sich die Menschen im Jahr 2022 über Wirtschaftskrisen und dadurch drohende steigende Armut. Beinahe die Hälfte (47.1%) gab an, „sehr besorgt“ darüber zu sein, weitere 41.4% waren „etwas besorgt“ angesichts solcher Entwicklungen. Ähnlich hoch waren mit insgesamt 86.5% die Besorgnisse mit Blick auf die Folgen des Klimawandels sowie die Besorgnis, „dass Deutschland öfter in militärische Konflikte hineingezogen werden könnte“ (insgesamt 83.7%). Demgegenüber gab nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten an, besorgt über die zunehmende Digitalisierung (55.3%) und den Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland (56.6%) zu sein.
Die Ergebnisse des Jahres 2022 lassen sich wegen veränderter Formulierungen der Fragen nicht direkt mit denen des Vorjahres vergleichen. Dennoch ist die Tendenz erkennbar, dass die Mehrheit der Befragten sich in einem ähnlich hohen Ausmaß wie bereits 2021 weiterhin Sorgen angesichts aktueller Entwicklungen macht (für weitere Informationen vgl. die Kurzergebnisse der Studie MiD 2021). Insbesondere die Sorge, dass Deutschland öfter in militärische Konflikte hineingezogen werden könnte, ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen (von 70% auf 83.7%), was angesichts des zwischenzeitlichen Ausbruchs des Ukraine-Krieges zu erwarten war.
Über solche konkret benannten Herausforderungen und Sorgen hinaus wurde auch allgemeiner erfasst, wie verbreitet Gefühle der Verunsicherung aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen und Neuerungen in der Bevölkerung sind. Die höchste Zustimmung erhielten, wie schon im Jahr 2021, Aussagen zu Verunsicherungen aufgrund schneller Veränderungen (72.4%), und das Gefühl, „auf alles gefasst sein“ zu müssen (77.3%). Während der Anteil der Zustimmung auf die erste Aussage 2022 genauso hoch ist wie im Jahr 2021, hat sich die Zustimmung auf die zweite Aussage um mehr als 6 Prozentpunkte erhöht. Anstiege zeigen sich auch für die Aussagen, dass man unsicher werde, wenn man die Ereignisse der letzten Jahre betrachtet (von 54.4% auf 64.4%) sowie die Feststellung, dass die Dinge heute so schwierig geworden sind, dass man „nicht mehr weiß, was los ist“ (von 38.8% auf 46.3%).
Am wenigsten Zustimmung fand hingegen die Aussage „Heutzutage kann man sich auf niemanden mehr verlassen“ mit 33.5%. Zwar lässt dies auf eine eher geringe Unsicherheit im Bereich persönlicher sozialer Verbundenheit schließen, aber auch hier ist ein deutlicher Anstieg der Rate der insoweit Verunsicherten um 6.7 Prozentpunkte zu erkennen.
Insgesamt haben damit im Vergleich zum Vorjahr alle Aussagen mehr Zustimmung erhalten. Aktuelle Krisen und Veränderungen, die sich zwischen den beiden Befragungen ereignet haben, lösen demnach eine zum Teil deutlich erhöhte allgemeine Verunsicherung aus, die zusammengenommen mehr als die Hälfte der Bevölkerung betrifft.
Bewertung der Demokratie und Vertrauen in die Politik
Die Demokratie als Basis des politischen Systems in Deutschland erfährt in der Bevölkerung nach wie vor eine breite Zustimmung: 85.8% der Befragten halten die parlamentarische Demokratie für die beste Staatsform. Zugleich glaubten aber 2022 deutlich weniger Menschen als noch 2021, dass mit der Demokratie die Probleme in Deutschland tatsächlich gelöst werden können. Zwar stimmt eine Mehrheit von 78.1% der Befragten der entsprechenden Aussage zu. Diese Zustimmungsrate ist aber im Vergleich zum Vorjahr um 9.7 Prozentpunkte gesunken. Trotz einer sehr hohen allgemeinen Akzeptanz der Demokratie als Staatsform zweifeln demnach zunehmend mehr Personen daran, dass damit auch die Lösung aktueller Probleme gelingen kann.
Die Akzeptanz wichtiger Grundrechte und Freiheiten wie die Versammlungsfreiheit („Jeder Bürger sollte das Recht haben, für seine Überzeugungen auf die Straße zu gehen“), die Meinungsfreiheit („Alle Minderheiten sollten das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern“) und die Pressefreiheit („Die Freiheit der Presse in unserem Land muss geschützt werden“) ist demgegenüber etwas größer geworden. Insbesondere die positiven Bewertungen der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit haben um jeweils mehr als 4 Prozentpunkte zugenommen. Insgesamt erfahren alle hier erfassten Grundrechte mit Raten von 90.2% bis 95% eine sehr breite Zustimmung.
Die hier erkennbar angestiegene Skepsis und die Zweifel mit Blick auf die Problemlösefähigkeit der Demokratie angesichts aktueller Herausforderungen spiegeln sich auch in den Angaben zum Vertrauen in relevante politische Institutionen wider.
Zwar erwies sich das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und die Gerichte mit 77.8% bzw. 71.9% als ungebrochen hoch, in Bezug auf politische Akteure fiel das Vertrauen jedoch deutlich geringer aus: Den politischen Parteien sowie der Regierung vertrauten mit 30% bzw. 46.3% weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland. Im Vergleich zum Vorjahr ist dieses Vertrauen 2022 zudem in dieser Hinsicht jeweils um knapp 10 Prozentpunkte gesunken, was eine sehr beträchtliche Verschlechterung anzeigt.
Dieser deutliche Rückgang des allgemeinen Vertrauens in politische Institutionen und Akteure, zeigt sich auch in den Bewertungen und Meinungen der Befragten mit Blick auf Einschätzungen der Motive und Kompetenzen wichtiger Entscheidungsträger*innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Die meiste Zustimmung erhielt diesbezüglich mit 63.8% die Aussage, diese Akteure seien „an den Problemen der einfachen Leute nicht interessiert“. Ebenfalls deutlich mehr als die Hälfte der Befragten (60.9%) gab an, Entscheidungsträger*innen seien „unfähig, die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen“. Auch die Aussage, dass diese „oft gegen die Interessen der Bevölkerung“ handelten2 , erhielt eine ähnlich hohe Zustimmung (58%). Die Zustimmungsraten liegen insgesamt in einem ähnlichen Bereich wie schon im Jahr 2021, wobei sich allerdings für die Annahmen von mangelndem Interesse sowie der Unfähigkeit zur Problemlösung tendenziell Anstiege finden lassen.
2 Die Formulierung dieser Aussage hat sich im Vergleich zu 2021 leicht verändert. Dort wurde die Formulierung „…handeln oft wider besseren Wissens gegen die Interessen der Bevölkerung“ verwendet. |
Die Befragten wurden ferner gebeten, unabhängig von direkten eigenen Erlebnissen auch Angaben dazu zu machen, wie Menschen, die so sind wie sie selbst (die also der eigenen sozialen Gruppe angehören), durch staatliche Institutionen behandelt werden.
Im Zentrum steht hier die subjektive Wahrnehmung von Respekt, Fairness und Anerkennung seitens der Vertreter*innen von Politik und staatlichen Behörden im direkten Kontakt mit Bürger*innen. Dies hat nach den Erkenntnissen der Forschung eine hohe Bedeutung für die Akzeptanz dieser Institutionen und von gesellschaftlichen Regeln, Werte und Gesetze, die durch diese Institutionen repräsentiert werden. Die Erfahrung von Respekt und Fairness sowie echtem Interesse sind entscheidend dafür, wie stark Menschen sich mit unserem politischen System und Staatswesen identifizieren und sich als zugehörig und anerkannt fühlen.
Diesbezüglich gab , ähnlich wie schon 2021; fast die Hälfte (48.6%) an, dass Menschen wie sie selbst ihrer Einschätzung nach von Politiker*innen nicht ernst genommen werden. Besser fiel die Bewertung staatlicher Behörden allgemein sowie der Polizei im Speziellen aus. Nur 23% bzw. 14.8% nahmen hier Formen einer respektlosen oder unfairen Behandlung wahr. Im Vergleich zu 2021 ist aber auch hier ein leichter Anstieg um jeweils etwas mehr als 2 Prozentpunkte zu verzeichnen.
Im Jahr 2022 wurde erstmals auch erfasst, wie verbreitet die Neigung zur Akzeptanz von Verschwörungsmythen ist –– d.h. von faktisch nicht belegbaren Annahmen, dass gesellschaftliche Ereignisse, Situationen oder Entwicklungen durch geheime Mächte gesteuert werden. Mit 35.5% fand die Annahme, dass es geheime Organisationen gebe, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, eine bemerkenswert hohe Zustimmung. 29.6% stimmten darüber hinaus der Aussage zu, dass Politiker*innen und andere Persönlichkeiten „Marionetten der dahinterstehenden Mächte“ seien.
Etwas weniger weit verbreitet war die Zustimmung zu themenbezogenen Verschwörungsmythen. Jeweils etwa ein Viertel der Befragten stimmte Aussagen zur absichtlichen Geheimhaltung des Ursprungs des Corona-Virus (25.8%) und der gefährlichen Nebenwirkungen von Impfungen (23%) zu. Mehr als jede*r Zehnte glaubte zudem, dass „Studien, die einen Klimawandel belegen, meist gefälscht“ seien.
In der Summe zeigen die Befunde des Jahres 2022 zur Bewertung von Demokratie, Staat und Politik, dass das Vertrauen in die politischen Akteure (Regierung und Parteien) im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken ist. Dies geht einher mit einer wachsenden Skepsis in Bezug auf die Fähigkeit der Demokratie, die aktuellen Probleme auch tatsächlich lösen zu können. Grund- und Freiheitsrechte werden aber nach wie vor von der weit überwiegenden Mehrheit positiv bewertet. Auch staatliche Institutionen im Bereich von Rechtspflege und Strafverfolgung, wie Polizei und Gerichte genießen nach wie vor hohes Vertrauen und werden weniger kritisch beurteilt als politische Akteure in der Regierung und den Parteien. Insgesamt nahm diese Akzeptanz und das Vertrauen auf allen Ebenen 2022 im Vergleich zum Vorjahr jedoch ab.
Die kritische Beurteilung relevanter Entscheidungsträger*innen aus Politik und Gesellschaft setzt sich teilweise auch in der Verbreitung der Neigung zum Verschwörungsglauben fort. Insbesondere die Annahme, dass geheime Mächte und Organisationen Einfluss auf politische Entscheidungsträger*innen ausüben, betrifft zwar eine Minderheit, ist aber trotzdem vergleichsweise häufig anzutreffen: Bei mehr als einem Viertel der Bevölkerung ist eine solche Tendenz zu erkennen, Verschwörungsmythen zu übernehmen und so in einer Situation subjektiv hoher Verunsicherung einfache Erklärungen für schwierige und bedrohliche Entwicklungen und Probleme einzusetzen.
Es ist von einem Geflecht wechselseitiger Einflüsse auszugehen. Ein allgemeines Misstrauen gegenüber Akteuren aus Politik und Wissenschaft wird hier verbunden mit Besorgnissen über aktuelle Krisen und Entwicklungen wie der Corona-Pandemie, dem Klimawandel oder dem Krieg in der Ukraine. Dies wiederum geht mit vermehrter Verunsicherung und einem Anstieg der Skepsis gegenüber gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträger*innen wie auch der Funktions- und Problemlösefähigkeit der Demokratie einher.
Unsere Studie legt einen ihrer Schwerpunkte auf politische und gesellschaftliche Zustände und deren Bewertung durch die Befragten. Nur wenn uns Menschen berichten, welche Erfahrungen und Beobachtungen sie machen, können wir erkennen, welche Probleme sie wahrnehmen und wie sie diese beurteilen. Deshalb fragen wir in unseren Studien einerseits nach den eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung und andererseits nach Beobachtungen im eigenen Lebensumfeld, die auf Intoleranz, Vorurteile und politischen Extremismus hinweisen könnten. Dies hilft uns dabei, Aussagen darüber zu treffen, wie verbreitet solche Situationen und Erfahrungen in Deutschland sind und inwiefern sich Menschen davon bedroht fühlen. |
Eigene Erfahrungen mit Diskriminierung
Insgesamt gab mehr als die Hälfte der Befragten an, in den letzten 12 Monaten persönlich eine Form von Diskriminierung erlebt zu haben. Hier zeigen sich allerdings erhebliche Unterschiede je nach Art der Diskriminierung und den Merkmalen der Befragten (Altersgruppe, Geschlecht, Migrationshintergrund, Religionszugehörigkeit).
Diskriminierungen wegen der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft oder der Nationalität wurden etwas häufiger von Männern berichtet und deutlich häufiger von jüngeren als von älteren Personen. So gaben 29% der Befragten unter 40 Jahren an, aus diesen Gründen diskriminiert worden zu sein. Bei Personen ab 60 Jahren liegt die Rate nur bei 9.4%.
Hervorzuheben ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund (52.3%) und Personen islamischen Glaubens eine solche herkunftsbezogene Diskriminierung im letzten Jahr deutlich häufiger erlebt haben als andere Personen. Zudem zeigt sich, dass solche Erfahrungen unter Personen mit islamischer Religion im Jahr 2022 mit einem Anstieg von 67.2% auf 73.5% tendenziell zugenommen haben.
Ein ähnliches Bild findet sich für die Verbreitung von Diskriminierungen wegen der Religion bzw. des Glaubens. Auch diese wurden häufiger von jüngeren Personen zwischen 18 und 40 Jahren berichtet. Deutlich gehäuft tritt eine solche religionsbezogene Diskriminierung bei Personen mit Migrationshintergrund (29.2%) sowie bei Muslim*innen (67%) auf. Bei beiden Gruppen, insbesondere aber bei der letztgenannten, ist daher von einem hohen Risiko der Mehrfachdiskriminierung auszugehen, das zudem – wie schon in Bezug auf herkunftsbezogene Diskriminierungen festzustellen war – im letzten Jahr leicht angestiegen ist.
Für die geschlechtsbezogene Diskriminierung zeigen sich die deutlichsten Unterschiede im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt gaben 21.2% der Befragten an, dass sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wurden, wobei diese Rate bei Frauen (32.1%) deutlich höher ausfällt als bei Männern (10%). Berichte über solche Diskriminierungserfahrungen sind seit 2021 bei Frauen, aber auch bei Personen ab 40 Jahren um jeweils mehr als 5 Prozentpunkte angestiegen. Auch für Personen ohne Migrationshintergrund sowie bei Personen mit islamischer oder keiner Religionszugehörigkeit lässt sich ein ähnlicher Trend beobachten.
Insgesamt finden sich damit im Jahr 2022 insbesondere unter den Frauen deutlich mehr Personen, die über geschlechtsbezogene Diskriminierungserfahrungen berichten. Die Entwicklung der Verteilung über die Altersgruppen deuten darauf hin, dass insbesondere unter den Befragten ab 40 Jahre aufwärts die Sensibilität für entsprechend problematische Situationen und damit die Wahrnehmung von geschlechtsspezifischer Diskriminierung angestiegen ist, was wesentlich zu dem insgesamt zu erkennenden Zuwachs beigetragen haben dürfte.
Wahrnehmung von Intoleranz und politischen Extremismen im eigenen Lebensumfeld
Neben den Fragen zu eigenen Diskriminierungserfahrungen wurden die Befragten auch gebeten, über Wahrnehmungen von Geschehnissen in ihrem sozialen Lebensumfeld zu berichten, die sie beobachtet haben und die politisch bedeutsam sein könnten. Solche Beobachtungen wurden 2022 insgesamt etwas häufiger angegeben als im Jahr zuvor. Die meisten Befragten (44.2%) gaben an, in den letzten 12 Monaten mindestens selten miterlebt zu haben, dass „Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft beleidigt oder angegriffen wurden“. Knapp ein Drittel der Befragten (33.2%) hat selbst beobachtet, „dass eine andere Person wegen ihrer Hautfarbe beschimpft oder angegriffen wurde“. Formen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind also weiterhin für viele Befragte ein direkt wahrnehmbares Problem in ihrem Lebensumfeld.
Auch Hinweise auf politischen Extremismus und Radikalisierungsprozesse wurden 2022 von den Befragten teilweise häufiger wahrgenommen als 2021. Beobachtungen, „dass Menschen für einen islamischen Gottesstaat geworben haben“ (23.8%) und „dass sich jemand einer radikalen politischen Gruppe angeschlossen hat“ (19%), sind im vergangenen Jahr um 6.5 bzw. 6 Prozentpunkte gestiegen.
Dies ist ein erster Hinweis auf eine vermehrte Wahrnehmung von Fällen politischen Extremismus im vergangenen Jahr.
Die Befragten wurden darüber hinaus auch zu ihren Wahrnehmungen und Beobachtungen verschiedener politischer Extremismen – in Form von linksextremistischen, rechtsextremistischen und islamistischen Aktivitäten – im eigenen Lebensumfeld befragt.
Hier zeigt sich, dass rechtsextremistische Aktivitäten am häufigsten beobachtet wurden (38.5%), gefolgt von linksextremistischen Aktivitäten (32.9%). Am seltensten wurden islamistische Aktivitäten beobachtet (21.6%). Das Ausmaß solcher Wahrnehmungen hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert, allerdings wurde etwas weniger von islamistischen Aktivitäten im eigenen Lebensumfeld berichtet.
Bei einer Aufschlüsselung der Beobachtungshäufigkeiten nach regionalen Merkmalen zeigt sich, dass in mittleren Städten und Großstädten die Raten derer, die solche Aktivitäten mindestens „selten“ wahrgenommen haben, jeweils höher ausfällt als bei Befragten, die in kleineren Orten leben. Dies war allerdings auch zu erwarten, da durch die höhere Bevölkerungsdichte in einer Großstadt im Vergleich zu kleineren Orten die Möglichkeit zur Beobachtung solcher Aktivitäten häufiger besteht und politische Protestgeschehnisse generell eher in größeren Städten stattfinden.
Ein weiterer Unterschied der Beobachtungshäufigkeiten findet sich im Ost-West-Vergleich, wobei sowohl rechts- als auch linksextremistische Aktivitäten in den östlichen Bundesländern deutlich häufiger beobachtet wurden als in westlichen Bundesländern. Im Westen wurden solche Beobachtungen von jeweils knapp einem Drittel (29.9% bzw. 34.9%) der Befragten gemacht, im Osten äußerte dies ungefähr die Hälfte der Befragten (45.6% bzw. 53.9%). Rechtsextremistische Aktivitäten wurden 2022 im Vergleich zu 2021 im Osten deutlich häufiger beobachtet, linksextremistische Aktivitäten hingegen tendenziell seltener. Im Bereich des islamistischen Extremismus schwanken die Werte je nach regionaler Verortung der Befragten im Vergleich zum Vorjahr um bis zu +/- 4 Prozentpunkte. Ein eindeutiger Trend ist somit bei keinem der drei extremistischen Phänomenbereiche zu erkennen.
Neben der Häufigkeit der reinen Beobachtung von politisch-extremistischen Aktivitäten im eigenen Lebensumfeld wurde auch erfragt, inwiefern sich Menschen in ihrem Lebensumfeld persönlich von politisch motivierter Gewalt bedroht fühlen.
Das höchste Bedrohungsgefühl geht demnach von rechtsextremistischer Gewalt aus, von der sich 19.5% der Befragten im Jahr 2022 etwas oder sehr bedroht fühlten. Auffällig ist, dass mit einem Anteil von 15% die Bedrohung durch islamistische Gewalt folgt, obwohl Beobachtungen solcher Aktivitäten im Vergleich der drei Extremismusformen am seltensten berichtet wurden. Insgesamt fällt das Ausmaß der empfundenen Bedrohung aber geringer aus, als es die Beobachtungshäufigkeiten vermuten lassen könnten. Im Vergleich zum Vorjahr sind hier keine Veränderungen zu verzeichnen.
Wie schon bei der Beobachtung extremistischer Aktivitäten zeigt sich auch in Bezug auf die Gefühle der Bedrohung durch politisch-extremistische Gewalt, dass diese in Großstädten häufiger sind.
Veränderungen zwischen 2022 und 2021 beziehen sich in erster Linie auf mittlere Großstädte (100.000 bis 500.000 Einwohner*innen), in denen sich Bedrohungsgefühle in Bezug auf linksextremistische und islamistische Gewalt verringert haben. Im Kontrast dazu zeigt sich eine im Vergleich zum Vorjahr erhöhte Rate der Bedrohungsgefühle wegen islamistischer Gewalt in Großstädten mit über 500.000 Einwohnern.
Das Ausmaß der empfundenen Bedrohung durch rechtsextremistische Gewalt ist ferner in ostdeutschen Bundesländern tendenziell zurückgegangen, in Bezug auf islamistische und linksextremistische Gewalt aber nahezu gleich geblieben.
Diese Auswertungen zeigen beispielhaft, dass die Entwicklung der Beobachtungshäufigkeit bestimmter Aktivitäten nicht notwendig auch mit einer entsprechenden Größenordnung der Bedrohungswahrnehmungen verbunden sein muss. Vielmehr ist anzunehmen, dass hier weitere Faktoren eine Rolle spielen.
Ziel der Studie „Menschen in Deutschland“ ist es, genau solche Faktoren zu identifizieren und aufzuzeigen, wie sich gesellschaftliche Situationen und ihre Veränderungen auf das Leben der Menschen in Deutschland auswirken.
Ein wichtiges Thema ist dabei vor allem die Frage, wie sich die Einschätzung von Politik und Gesellschaft im weiteren Zeitverlauf in den nächsten Jahren entwickeln und möglicherweise auch wandeln wird und wie sich das auf die Verbreitung von Formen des politischen Extremismus sowie der Akzeptanz bzw. Ablehnung unserer Demokratie auswirkt. Die Befragungen im Rahmen unserer Studie „Menschen in Deutschland“ werden in den nächsten Jahren kontinuierlich weitergeführt, so dass Veränderungen sichtbar gemacht und deren mögliche Hintergründe beleuchtet werden können.
Dieser kurze Bericht sollte einen ersten Einblick in Fragestellungen und ausgewählte Befunde unserer Untersuchung „Menschen in Deutschland 2022“ geben. Wir möchten diese Gelegenheit auch nutzen, uns bei allen Befragten ganz herzlich für ihre Zeit zu bedanken.
Für Rückfragen kontaktieren Sie gerne unser Team an der Universität Hamburg über |
Weitere Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Menschen in Deutschland 2022“
In folgenden Buchbeiträgen sowie Forschungs- und Kurzberichten sind weitere Erkenntnisse auf Basis der Daten der Studie MiD 2022 dokumentiert. Diese Beiträge können jeweils auch online eingesehen oder als Download kostenlos genutzt werden.
Fischer, J.M.K., Farren, D., Brettfeld, K., Endtricht, R. & Wetzels, P. (2023). Menschen in Deutschland 2022. Zweite Welle der bundesweit repräsentativen Befragung: Durchführung, Rücklauf, Erhebungsinstrument und Codebuch. MOTRA Forschungsbericht No. 6 aus dem Institut für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft. Hamburg: Universität Hamburg. https://doi.org/10.25592/uhhfdm.11415
Erste Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Menschen in Deutschland 2021“
Die Studie „Menschen in Deutschland“ (MiD) ist ein Forschungsprojekt der Universität Hamburg im Forschungsverbund MOTRA. Die Studie untersucht Meinungen und Haltungen der Menschen zu politischen, gesellschaftlichen und religiösen Themen. Dazu werden ab 2021 jährlich wiederholte repräsentative Befragungen der erwachsenen Bevölkerung in ganz Deutschland durchgeführt, in denen über 4.000 Menschen zu diesen Themen zu Wort kommen. Im Folgenden werden erste Ergebnisse der MiD-Studie aus dem Jahr 2021 vorgestellt. Diese zeigen, was Menschen in Deutschland bewegt und wie sie aktuelle Entwicklungen in unserer Gesellschaft beurteilen. |
Menschen in Deutschland 2021 – Wer sind unsere Teilnehmer*innen? 1
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
1 Alle Auswertungen, über die hier berichtet wird, wurden mit gewichteten Daten vorgenommen. Dies stellt sicher, dass die Stichprobe in Bezug auf wichtige zentrale Merkmale auch den Verhältnissen der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland entspricht. Dadurch können die Ergebnisse als repräsentativ angesehen und auf alle erwachsenen Einwohner*innen Deutschlands verallgemeinert werden. Weitere Informationen zum angewendeten Gewichtungsverfahren und zur Größe einzelner Teilstichproben finden Sie im Forschungsbericht No. 2 zur Studie MiD 2021, der online auf der Website des Lehrstuhls für Kriminologie der Universität Hamburg verfügbar ist. |
Sorgen und Verunsicherung angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen und Veränderungen
Ein großer Anteil der Befragten des Jahres 2021 äußerte Besorgnis bezüglich der Auswirkungen aktueller Entwicklungen wie der Corona-Pandemie, drohender Wirtschaftskrisen und des Klimawandels.
Die größten Sorgen machten sich Menschen im Frühjahr 2021 über die Corona-Pandemie. Über die Hälfte der Befragten (57%) gab an, „sehr besorgt“ darüber zu sein, „dass die Corona-Pandemie noch lange Zeit andauert und das Gesundheitssystem überfordern könnte“. Weitere 32% gaben an, „etwas besorgt“ darüber zu sein. Ebenso hoch war das Ausmaß der Besorgnis, dass der Klimawandel „zunehmend zu Dürren, Ernteeinbußen und Überschwemmungen führen könnte“. Ein gleiches Ausmaß der Besorgnis erreichten Wirtschaftskrisen und eine damit einhergehende zunehmende Armut in Deutschland.
Auch darüber, dass Deutschland durch eine Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen in der Welt öfter in militärische Konflikte hineingezogen werden könnte, machten sich mehr als zwei Drittel der Menschen Sorgen, auch wenn mit 27% vergleichsweise wenige Personen diesbezüglich „große Sorgen“ äußerten. Angesichts der Entwicklungen in der Ukraine ist zu erwarten, dass die hier erfassten Sorgen der Bevölkerung in der zweiten Erhebung „Menschen in Deutschland 2022“ anders ausfallen könnten.
Deutlich weniger Sorgen machten sich die Befragten darüber, dass der Zuzug von Flüchtlingen zu einem Zusammenbruch unseres Sozialsystems führen werde, auch wenn diese Befürchtungen immer noch von mehr als der Hälfte der Personen geteilt wurden. Hervorzuheben ist aber, dass sich mit 18% nur ein relativ geringer Anteil der Befragten als darüber „sehr besorgt“ äußerte.
Über solche konkret benannten Herausforderungen und Sorgen hinaus haben wir auch allgemeiner erfasst, wie verbreitet Gefühle der Verunsicherung aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen und Neuerungen in der Bevölkerung sind. Fast drei Viertel (72%) der Befragten stimmten der Aussage zu „Heute ändert sich alles so schnell, dass man oft nicht weiß, woran man sich halten soll“. Mehr als die Hälfte der Befragten gab zudem an, dass die Ereignisse der letzten Jahre bei ihnen zu Unsicherheit führten. Es ist davon auszugehen, dass diese beiden Aussagen vor allem Bezüge zur Corona-Pandemie und den sich kurzfristig ändernden Maßnahmen und Regeln aufweisen. Sie deuten aber darüber hinaus auch auf eine allgemeine Verunsicherung durch schnelle und tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft und der Politik hin.
Demgegenüber stimmten jedoch deutlich weniger Personen – wenn auch mit über einem Viertel der Befragten immer noch ein substanzieller Anteil – der Aussage zu „Heutzutage kann man sich auf niemanden mehr verlassen“. Die soziale Verbundenheit bzw. ein daraus abgeleitetes Gefühl des Vertrauens in andere Personen scheint im Vergleich zu den zuvor beschriebenen Sorgen und Verunsicherungen demnach nur bei einem kleineren Teil der Menschen beeinträchtigt zu sein.
Betrachtet man die Verunsicherung anhand aller fünf Fragen, die wir den Teilnehmer*innen zu diesem Thema gestellt haben, zeigt sich ein hohes Ausmaß solcher Verunsicherungen durchschnittlich bei 20% der Befragten. Jüngere Personen unter 30 Jahren (23%) und ältere Menschen ab 70 Jahren (27%) weisen hier die höchsten Raten auf.
Anteil der Befragten in %, die auf einer Mittelwertskala zur Verunsicherung (bestehend aus 5 Fragen)einen Wert von über 3 erreichen (Wertebereich 1-4).
Bewertung der Demokratie und Vertrauen in die Politik
Die Demokratie als Basis des politischen Systems in Deutschland erfährt in der Bevölkerung eine breite Zustimmung. Zwischen 85% und 90% der Befragten stimmten entsprechenden Aussagen zu, in denen die Demokratie als beste Staatsform und als geeignet zur Lösung von Problemen in Deutschland benannt wurde. Auch grundlegende Rechte und Freiheiten wie die Versammlungsfreiheit („Jeder Bürger sollte das Recht haben, für seine Überzeugungen auf die Straße zu gehen“), die Meinungsfreiheit („Alle Minderheiten sollten das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern“) und die Pressefreiheit („Die Freiheit der Presse in unserem Land muss geschützt werden“) wurden von 86% bis 94% der Befragten als schützenswert angesehen und insoweit positiv bewertet.
Dieses mit Blick auf die normative Basis der demokratischen Verfasstheit positive Bild bestätigt sich bei der Betrachtung des Vertrauens in relevante politische Institutionen jedoch nur teilweise. So erwies sich das Vertrauen der Befragten in die Polizei und die Gerichte mit 79% bzw. 75% zwar als sehr hoch. In Bezug auf konkrete politische Akteure – also die Regierung und politische Parteien – fiel das Vertrauen der Befragten im Frühjahr 2021 hingegen deutlich geringer aus. Der Regierung vertraute nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten. Das Vertrauen in politische Parteien lag mit nur 41% nochmals niedriger.
Anteil der Befragten in %, die auf einer Skala von 1 bis 6 mindestens den Wert 4 angegeben haben.
Die Bewertung und Einschätzung von Entscheidungsträgern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft hinsichtlich ihrer Handlungsmotivation und Kompetenzen zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen untermauert dieses bei vielen Menschen eher fehlende Vertrauen weiter. Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten (jeweils 58%) gab an, dass Entscheidungsträger oft „wider besseren Wissens gegen die Interessen der Bevölkerung“ handelten und unfähig seien, aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Die höchsten Zustimmungswerte erhielt hier mit 61% die Aussage, wonach die Entscheidungsträger nicht „an den Problemen der einfachen Leute interessiert“ seien.
Fast die Hälfte der Befragten (48%) gab zudem an, dass ihrer Einschätzung nach Menschen wie sie selbst von Politikern nicht ernst genommen würden. Erheblich besser fiel – wie schon zuvor – die Bewertung von Behörden und der Polizei aus. Hier stimmten nur 21% bzw. 12% der Aussage zu, dass Menschen wie sie selbst von diesen respektlos oder unfair behandelt werden.
In der Kritik der Bürger*innen stehen also eher die politischen Akteure (Regierung und Parteien), nicht so sehr das demokratische System als solches oder staatliche Institutionen, mit denen die Befragten im Alltag tatsächlich in Kontakt kommen (Behörden, Polizei und Gerichte). Es wird sichtbar, dass nicht nur das allgemeine Vertrauen in politische Akteure in der Bevölkerung gering ist, sondern dass den relevanten Entscheidungsträgern darüber hinaus auch die Bewältigung aktueller Herausforderungen von einem großen Teil der Befragten nicht ohne Weiteres zugetraut wird. Ihnen wird vielmehr von einer Mehrheit der Befragten ein Desinteresse an den Problemen der Bevölkerung bzw. sogar ein Handeln zugeschrieben, das explizit den Interessen der Bevölkerung entgegensteht.
Unsere Studie legt einen großen Fokus auf politische und gesellschaftliche Zustände und deren Bewertung durch die Befragten. Nur wenn uns Menschen berichten, welche Erfahrungen und Beobachtungen sie machen, können wir sehen, welche Probleme sie wahrnehmen und wie sie diese Probleme beurteilen. Deshalb fragen wir in unseren Studien einerseits nach den eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung und andererseits nach Beobachtungen im eigenen Lebensumfeld, die auf Intoleranz, Vorurteile und politischen Extremismus hinweisen könnten. Dies hilft uns dabei, Aussagen darüber zu treffen, wie verbreitet solche Situationen und Erfahrungen in ganz Deutschland sind und inwiefern sich Menschen von ihnen bedroht fühlen. |
Eigene Erfahrungen mit Diskriminierung
Insgesamt gab mehr als die Hälfte der Befragten an, in den letzten 12 Monaten persönlich eine Form von Diskriminierung erfahren zu haben. Deutliche Unterschiede fanden sich jedoch je nach der Art der Diskriminierung und dem Alter der Befragten. So gaben von den Personen unter 40 Jahren 33% an, aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer Nationalität diskriminiert worden zu sein. Ein vergleichbarer Anteil dieser Altersgruppe berichtete von Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts. 21% der Befragten in diesem Alter erlebten Diskriminierung aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Religion.
Die Erfahrungen mit solchen persönlichen Diskriminierungen waren bei Personen im Alter ab 60 Jahren deutlich seltener. Hier lag die Rate derer, die sich diskriminiert fühlten, jeweils nur zwischen 6% und 7%. Personen im Alter von 40 bis 59 Jahren lagen jeweils im Mittelfeld der drei Altersgruppen.
Anteil der Befragten in %, die sich „selten“, „manchmal“ oder „oft“ diskriminiert gefühlt haben.
Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass junge Personen tatsächlich häufiger diskriminiert wurden als ältere Menschen. Die Ergebnisse könnten ebenso auf eine andere Wahrnehmung diskriminierender Verhaltensweisen durch jüngere Personen hindeuten, die möglicherweise ein höheres Bewusstsein und mehr Sensibilität für entsprechend problematische Situationen aufweisen. Auch sind die hier erfragten Diskriminierungsgründe nur ein Ausschnitt der im Alltag möglichen Formen von Benachteiligung und Diskriminierung. So beinhalten sie beispielsweise nicht die Frage nach erlebter Altersdiskriminierung, bei der unter Umständen eine andere Verteilung zu erwarten wäre.
Wahrnehmung von Intoleranz und politischen Extremismen im eigenen Lebensumfeld
Neben den Fragen zu eigenen Diskriminierungserfahrungen wurden die Befragten auch gebeten, ihre Wahrnehmungen als Beobachtende von Geschehnissen in ihrem sozialen Lebensumfeld zu berichten, die politisch bedeutsam sein könnten.
Insgesamt zeigt sich, dass die Beobachtung verschiedener Formen von Diskriminierung, Vorurteilen und Intoleranz gegenüber anderer Personen häufiger berichtet wurde als eigene Diskriminierungserlebnisse. So gaben 42% der Befragten an, in den letzten 12 Monaten miterlebt zu haben, dass andere Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft beleidigt oder angegriffen wurden. Fast ein Drittel (31%) hat selbst beobachtet, dass eine andere Person wegen ihrer Hautfarbe beschimpft oder angegriffen wurde. Formen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind also für viele Befragte ein direkt wahrnehmbares Problem in ihrem Lebensumfeld.
Beobachtungen, die auf Antisemitismus hindeuten, wurden je nach Erscheinungsform unterschiedlich häufig gemacht. Während fast die Hälfte der Befragten (45%) in ihrem persönlichen Umfeld antisemitische Schmierereien oder Parolen gesehen hat, gaben nur 16% an, in den letzten 12 Monaten eine Beschimpfung von Menschen jüdischen Glaubens mitbekommen zu haben.Anteil der Befragten in %, die angeben, dies „selten“, „manchmal“ oder „oft“ erlebt zu haben.
Derartige intolerante Handlungen können sowohl ein Bestandteil verschiedener Formen politischer Extremismen sein als auch dazu beitragen, dass sich extremistische Haltungen und Aktivitäten entwickeln. Die Befragten wurden deshalb auch zu ihren Wahrnehmungen und Beobachtungen verschiedener politischer Extremismen – in Form von linksextremistischen, rechtsextremistischen und islamistischen Aktivitäten – im eigenen Lebensumfeld befragt.
Am häufigsten wurden rechtsextremistische Aktivitäten beobachtet: 15% der Befragten gaben an, solche Aktivitäten „manchmal“ oder „oft“ beobachtet zu haben. Mit 13% fiel die Rate der Beobachtungen von Aktivitäten, die von den Befragten dem linksextremistischen Spektrum zugeordnet wurden, nur wenig geringer aus. Am seltensten wurden islamistische Aktivitäten (8%) beobachtet.
Deutliche Unterschiede in der Häufigkeit solcher Beobachtungen zeigen sich bei einer Betrachtung der Größe des Wohnorts der Befragten. Für alle Extremismen zeigt sich, dass in mittleren Städten und Großstädten der Anteil der Befragten, die solche Aktivitäten wahrgenommen haben, höher ausfällt. Dabei wurden linksextremistische und rechtsextremistische Aktivitäten in Großstädten von jeweils etwas weniger als einem Viertel der Befragten „manchmal“ oder „oft“ beobachtet, islamistische Aktivitäten hingegen nur von 11%.Anteil der Befragten in %, die angeben, diese Formen politisch-extremistischer Aktivitäten
„manchmal“ oder „oft“ beobachtet zu haben.
Diese Verteilungen entsprechen erwartbaren Unterschieden, geht man davon aus, dass allein durch die Bevölkerungsdichte in einer Großstadt im Vergleich zu kleineren Orten die Möglichkeit zur Beobachtung solcher Aktivitäten in höherem Maße besteht. Zudem spielen sich hier in der Regel auch häufiger Protestgeschehen ab, bei denen es zu entsprechenden politischen Äußerungen und damit verbundenen Auseinandersetzungen kommen kann.
Betrachtet man die Raten solcher Beobachtungen getrennt für die Bundesländer, in denen die Befragten leben, zeigen sich deutliche Unterschiede innerhalb Deutschlands – hier exemplarisch anhand der Beobachtung rechtsextremistischer Aktivitäten dargestellt.
Der Anteil der Befragten, die rechtsextremistische Aktivitäten „manchmal“ oder „oft“ beobachtet haben, liegt danach in Brandenburg, Sachsen und Thüringen über dem oben dargestellten Durchschnitt von 15%. Dass dieses Phänomen jedoch nicht nur neue Bundesländer betrifft, zeigen die deutlich höheren Raten in den Stadtstaaten Berlin und Bremen. Zugleich weist jedoch Hamburg – ebenfalls ein Stadtstaat – mit nur 7% die geringste Rate auf.
Bereits diese Ergebnisse zeigen, dass vereinfachende Erklärungen, z.B. allein anhand der Größe des Wohnorts oder der Region in Deutschland, der Komplexität solcher Phänomene nicht gerecht werden. Unsere weiteren Forschungen werden sich daher auch darauf richten, die Hintergründe für die regionalen Differenzen solcher Wahrnehmungen noch genauer zu untersuchen.
Neben der Häufigkeit der reinen Beobachtung von politisch-extremistischen Aktivitäten ist es wichtig zu beachten, inwiefern sich Menschen in ihrem Lebensumfeld von Formen politisch motivierter Gewalt bedroht fühlen. Das Ausmaß solcher subjektiver Bedrohungsgefühle war im Durchschnitt etwas höher als die Häufigkeit der entsprechenden Beobachtungen. Auch hier wurden im Bereich des Rechtsextremismus die höchsten Werte verzeichnet (20%). Bemerkenswert ist jedoch, dass trotz der zuvor dargestellten häufigeren Beobachtung linksextremistischer Aktivitäten die Bedrohungswahrnehmung durch linksextremistische Gewalt mit 10% deutlich geringer war als die Bedrohungswahrnehmung durch islamistische Gewalt (16%).
Wie schon bei der Beobachtung extremistischer Aktivitäten zeigt sich auch hier, dass in größeren Wohnorten und insbesondere in Großstädten Gefühle der Bedrohung durch diese drei Formen der extremistischen Gewalt mit 16% bis 28% weiter verbreitet sind als in kleineren Orten.Anteil der Befragten in %, die sich „etwas bedroht“ oder „sehr bedroht“ fühlten.
Diese Auswertungen zeigen beispielhaft auf, dass die Beobachtung bestimmter Aktivitäten keine unmittelbare Wirkung auf die Wahrnehmung von Bedrohungen oder Sorgen haben müssen. Vielmehr ist anzunehmen, dass hier weitere Faktoren (z.B. Darstellungen in Medien) relevant werden. Dies betrifft nicht nur politische Formen von Extremismen, sondern auch die Wahrnehmung und persönliche Relevanz sozialer Probleme und die Bewertung politischer und gesellschaftlicher Akteure, wie weiter oben gezeigt wurde.
Ziel der Studie „Menschen in Deutschland“ ist es, genau solche Faktoren zu identifizieren und aufzuzeigen, wie sich gesellschaftliche Situationen und ihre Veränderungen auf das Leben der Menschen in Deutschland auswirken. Ein wichtiges Thema ist darüber hinaus die Frage, wie sich die Einschätzung von Politik und Gesellschaft im weiteren Zeitverlauf in den nächsten Jahren entwickeln und möglicherweise auch wandeln wird. Die Befragungen im Rahmen unserer Studie werden hierfür ab 2021 jedes Jahr erneut durchgeführt, sodass Veränderungen sichtbar gemacht und deren mögliche Hintergründe beleuchtet werden können.
Dieser kurze Bericht sollte einen ersten Einblick in Fragestellungen und ausgewählte Befunde unserer Untersuchung „Menschen in Deutschland 2021“ geben. Wir möchten diese Gelegenheit auch nutzen, uns bei allen Befragten ganz herzlich für ihre Zeit zu bedanken.Vielen Dank, dass Sie uns durch Ihre Teilnahme an der Befragung unterstützt haben!
Für Rückfragen kontaktieren Sie gerne unser Team an der Universität Hamburg über |
Weitere Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Menschen in Deutschland 2021“
In folgenden Buchbeiträgen sowie Forschungs- und Kurzberichten sind weitere Erkenntnisse auf Basis der Daten der Studie MiD 2021 dokumentiert. Diese Beiträge können jeweils auch online eingesehen oder als Download kostenlos genutzt werden.
- Brettfeld, K. & Wetzels, P. (2022). Studie „Menschen in Deutschland 2021“. Sorgen und Verunsicherungsgefühle angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen, Vertrauen in Staat und Politik sowie Betroffenheit durch Intoleranz und Diskriminierung. MOTRA-Spotlight 01/22. Wiesbaden: BKA. https://doi.org/10.57671/motra-2022001
- Brettfeld, K. Endtricht, R., Farren, D., Fischer, J.M.K. & Wetzels, P. (2021). Menschen in Deutschland 2021. Erste Welle der bundesweit repräsentativen Befragung. Entwicklung, Inhalt und Aufbau des Erhebungsinstruments. MOTRA Forschungsbericht No. 1 aus dem Institut für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft. Hamburg: Universität Hamburg.
https://doi.org/10.25592/uhhfdm.10257 - Endtricht, R., Farren, D., Fischer, J.M.K., Brettfeld, K. & Wetzels, P. (2022). Menschen in Deutschland 2021. Erste Welle der bundesweit repräsentativen Befragung. Durchführung und Rücklauf der Erhebung - Methodenbericht. MOTRA Forschungsbericht No. 2 aus dem Institut für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft. Hamburg: Universität Hamburg. https://doi.org/10.25592/uhhfdm.10259
Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung "Menschen in Deutschland 2021"
In diesem Bericht werden die Ergebnisse deskriptiver Grundauswertungen der ersten Welle der bundesweit repräsentativen Einstellungsbefragung „Menschen in Deutschland 2021“ (MiD 2021) vorgestellt. Die Studie ist Bestandteil des nationalen, durch das BMBF und das BMI geförderten Forschungsverbundes MOTRA, innerhalb dessen insgesamt acht Institutionen aus Wissenschaft, Forschung und Zivilgesellschaft als Kooperationspartner zusammenarbeiten, ihre Forschungen aufeinander beziehen und miteinander abstimmen (vgl. dazu Kemmesies & Wetzels 2021, S. 15 ff.). Eine zentrale übergeordnete Zielsetzung der Forschungsarbeiten dieses Verbundes besteht darin, das Radikalisierungsgeschehen in Deutschland möglichst umfassend - d.h. sowohl phänomenübergreifend als auch phänomenspezifisch - unter Einsatz verschiedener Datenquellen und Erhebungsmethoden zu beobachten und diesbezüglich zentrale Einflussfaktoren wie auch Veränderungen zeitnah zu identifizieren, um so gewonnene Erkenntnisse für Wissenschaft, Politik und Praxis zur Verfügung zu stelle
Um dies zu realisieren, werden unter anderem in jährlichem Abstand repräsentative Befragungen der bundesdeutschen Wohnbevölkerung durchgeführt. In der ersten Projektphase von MOTRA (Nov. 2019 bis Nov. 2024) sind vier Befragungen der erwachsenen Wohnbevölkerung ab 18 Jahren vorgesehen. Ergänzend dazu werden in diesem Zeitraum weiter zwei Befragungen junger Menschen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren stattfinden.
Das Ziel dieser Trendstudien ist es, ein kontinuierliches Monitoring sowohl extremismusaffiner Einstellungen in der Bevölkerung als auch der individuellen Konfrontationen mit Formen des politischen Extremismus im Alltagsleben von Menschen in Deutschland sowie deren Betroffenheit durch Intoleranz und vorurteilsbehaftete Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung zu etablieren. Die Studien sollen – im Zusammenspiel mit den Arbeiten der übrigen Partner des MOTRA-Forschungsverbundes – dazu beitragen, frühzeitig sich anbahnende Entwicklungen von Radikalisierung und politischen Extremismen identifizieren, deren Hintergründe analysieren und die jeweiligen Problembereiche sozial lokalisieren zu können. Informationen dieser Art sind ein wichtiger Bestandteil eines praxisbezogenen, auf universelle und selektive Prävention ausgerichteten, multimethodalen Monitorings auf wissenschaftlicher Basis.
Neben der Erhebung spezifischer Einstellungen der Befragten, ihren politischen Haltungen und ihrem Verhältnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und grundlegenden Freiheitsrechten, wurden auch Angaben der Befragten zu ihren individuellen Konfrontationen mit und der Beobachtung von verschiedenen Erscheinungsformen politischer Extremismen sowie politisch relevanten Formen von Intoleranz und Diskriminierung in deren unmittelbaren Lebensumfeldern erfasst. Darin einbezogen sind auch persönliche Erfahrungen damit, Adressat bzw. Opfer von Intoleranz, Vorurteilen oder Ausgrenzung gewesen zu sein.
Die Analyse solcher alltäglichen subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen sozialer Phänomene und Prozesse gestattet es, aus der Perspektive der Befragten als Betroffene wie auch Beobachtende, d.h. als Expert*innen für ihr eigenes Lebensumfeld, etwas über die Relevanz von Extremismen im Alltag der Bevölkerung sowie über soziale Kontexte zu erfahren, in denen diese eine Rolle spielen.
Mit den hier vorgelegten Analysen wird zunächst rein deskriptiv die Verbreitung und soziale Verortung der in MiD 2021 untersuchten Phänomene in den Blick genommen. Dabei handelt es sich um eine Auswahl zentraler Ergebnisse, welche die relevanten abhängigen Variablen des Einstellungsmonitorings betreffen. Insbesondere werden Schätzungen der Größenordnung entsprechender Risikopotentiale in der Gesamtbevölkerung auf repräsentativer Datenbasis vorgenommen, d.h. die Prävalenzraten entsprechender Phänomene in der Population der erwachsenen Wohnbevölkerung werden unter Berücksichtigung von stichprobenbedingten Ungenauigkeiten geschätzt. Diese Schätzungen stellen den Startpunkt kommender Trendanalysen zu möglichen Entwicklungen und Veränderungen der untersuchten Einstellungen dar.
Der vollständige Bericht steht hier im PDF-Format zum Download zuf Verfügung.